Paula Bomer

MADELEINE
Erzählungen

Aus dem Amerikanischen von
Rainer Höltschl

NEU!
Hardcover. 240 Seiten. Leinen, farbiges Vorsatzpapier, Lesebändchen
22,00 Euro (D), 22,60 Euro (A)
ISBN: 978-3-944122-30-4



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Paula Bomer ist in South Bend, Indiana, aufgewachsen und lebt heute in New York. Auf Deutsch erschien von ihr 2014 der Erzählungen-Band Baby, 2015 der Roman Neun Monate.


Neun Erzählungen über heranwachsende junge Frauen. Sie alle lernen den eigenen Körper kennen, wie man ihm vertrauen kann und Macht über ihn gewinnt. Und damit auch Macht über andere.

Geschichten darüber, was es heißt, von einer neuen Erfahrung, einem anderen Menschen berührt zu werden. Über Freundschaft, Liebe, Sex, Magersucht, Macht, Abgrenzung von den Eltern. Über Diskriminierung unter Jugendlichen wegen sozialer Unterschiede, Geschlecht oder Hautfarbe. Über Musik, Drogen und Liebe.

Über den jugendlichen Wunsch, zu wachsen, so viel wie möglich in sich aufzunehmen, sich zu verändern und so viel und intensiv zu fühlen wie nur möglich. Über die jugendliche Angst, aber auch die jugendliche Angstlosigkeit, durch die Erfüllung der eigenen Wünsche zum Außenseiter zu werden.

Die Schönheit und die Verwirrung, das Sanfte und Brutale, die trostlose Einsamkeit, aber auch die überbordende Energie und die ungebremste Liebesfähigkeit junger Frauen in all ihrer Kraft.

»Eine Zeit in meinem Leben war vorbei und sie war ziemlich schlimm zu Ende gegangen. Und doch, wie schön, jung zu sein, noch nicht einmal meinen eigenen Körper entdeckt zu haben (was Stunden unter dem Duschkopf der Badewanne schließlich änderten), wie schön, anderen ausgeliefert zu sein, noch so viel vor mir zu haben und so leicht einen anderen Menschen enttäuschen zu können.«
– Aus der Erzählung »Pussies«


INTERVIEW mit Paula Bomer: »New York ist voller Träumer«.
Die Autorin über ihre literarischen Vorbilder, warum sie Bücher nicht nur schreibt, sondern auch verlegt, und ihren Sommer in Berlin.


STIMMEN:

Diese Art zu schreiben gehört zum Rauesten und Eindringlichsten, was mir je begegnet ist.
— Jonathan Franzen über Paula Bomer

Dieser Band von Erzählungen erforscht die sexuellen Beziehungen von jungen Außenseitern, Einzelgängern und Sonderlingen in der amerikanischen Gesellschaft und glüht förmlich in seiner aufrichtigen und rauen Ehrlichkeit.
— Publishers Weekly

Bomers Figuren kämpfen immer von neuem damit, wie ihre starke Persönlichkeit mit den rituellen und klassenspezifischen Erniedrigungen als junge, weibliche Person zurechtkommt. … Sie verwenden Sex und Essen als Mittel der Selbsterkenntnis und laufen dabei in die Fallen, die die Kultur für sie aufzustellen scheint.
— The New York Times

Ihr Romandebüt »Neun Monate«, ihr äußerst raues Porträt einer unglücklich schwangeren Frau, stach schon unter den besten Büchern des Jahres heraus, aber ihre neueste Sammlung von Erzählungen, »Madeleine«, zeigt, wie viel mehr im Talent der Autorin steckt.
— Brooklyn Based

Die Mädchen in diesen neun Geschichten sind so verkorkst, unreif und sehr real. Die Geschichten bewegen sich in einer Atmosphäre, die Bomers weiblichen Protagonisten eine ungewöhnliche Dimension verleiht: Sie sind voller Lust und Wildheit, treffen eine falsche Entscheidung nach der anderen, so wie die Jungs, die sie umkreisen. Aber ihre Selbstwahrnehmung eröffnet auch eine dunkle, schmerzliche Seite, die vielen Schriftstellern mit ähnlichen Themen entgeht.
— Kirkus Review


Über den Roman Neun Monate von Paula Bomer (erschienen 2015 im Open House Verlag)

Bomer, bekannt durch ihren Erzählungen-Band »Baby«, schreibt ungeschönt über Frauen mit Nachwuchs. Alle Menschen mit Kinderwunsch sollten ihn lesen.
— Berliner Zeitung

Bomer (…) ist sehr gut darin, ohne Weichzeichner zu schreiben. Das allein ist schon eine geschlechterpolitische Tat. Denn wenig wird so verklärt wie (werdende) Mutterschaft.
— Missy Magazine  


Über den Band Baby von Paula Bomer (erschienen 2014 im Open House Verlag)

Ein sehr außergewöhnliches und gutes Buch … beeindruckend. Gefüllt mit zehn Kurzgeschichten … wenn man beginnt sie zu lesen, besteht die Gefahr, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legt.
Thomas Koch, WDR

Auch Paula Bomer erzählt in ›Baby‹ von [Eltern] – … wie sie miteinander schlafen, wie sie gebären, stillen, einander Gewalt antun oder ignorieren, und was sie bei all dem fühlen. … Neu und ziemlich überraschend ist, wie hier eine kein fieses Detail auslässt, kein einziges Happy End andeutet und dabei sehr unterhaltsam und kein bisschen zynisch ist.
Sabine Rohlf, Berliner Zeitung

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TERMINE:
12. November 2018, Leipzig, Moritzbastei
Mariann Gaborfi und Rainer Höltschl sind im Rahmen der Reihe »Der durstige Pegasus« zu Gast bei Moderator Elia van Scirouvsky und einem literarischen Abend mit Texten, in denen Frauen im Mittelpunkt stehen.
Mariann Gaborfi, bekannt als Moderatorin der Lesebühnen »Stubenreim« und »Pinzette vs. Kneifzange«, liest aus ihrem Fundus Texte, die meist Kurzprosa oder Lyrik sind und die sich mit dem befassen, was das Leben täglich mit ihr macht. Rainer Höltschl, Übersetzer und Verleger aus Leipzig, hat im Open House Verlag »Madeleine«, einen neuen Band mit Erzählungen der US-amerikanischen Autorin Paula Bomer übersetzt und herausgegeben.
Paula Bomer zeigt in aufregenden, kompromisslosen Erzählungen, welche Kraft es auch heute braucht, sich als potente Frau zu präsentieren. Besonders, wenn sie dazu auch noch die Rollen als Frau und Mutter ausfüllen will.
An diesem Abend könnte es u.a. um diese Fragen gehen: Worum geht es in der MeToo-Debatte? Soll ein Mann solche Erzählungen übersetzen? Was kann ein literarischer Text, das theoretische Diskussionen nicht schaffen?
Der durstige Pegasus ist die älteste durchgehende Literaturreihe Europas – seit 1974 gibt es sie monatlich in der Moritzbastei. Eintritt frei, rechtzeitiges Erscheinen sichert die besten Plätze! Ort: Moritzbastei, Universitätsstraße 9, 04109 Leipzig. Beginn: 20.00 Uhr


LESEPROBE:
Aus der Erzählung Pussies

»Ich rieche Rauch.« Ich ging zur Tür, und genau in dem Moment, als ich sie öffnete, ging in dem Gebäude der Feueralarm los. Durch den Flur zog Rauch. Wir waren im 21. Stock. Schnell schloss ich die Tür.
»Oh, Gott, oh Gott«, sagte Lise.
»Wir müssen hier raus«, rief ich. Meine Stimme hatte etwas Hysterisches. Ihre Wohnung stank jetzt richtig. Ich konnte den Rauch unter der Tür hervorkriechen sehen. Nervös ging ich auf Lise und Dylan zu, die stumm rumstanden. »Wir hauen ab. Jetzt.«

»Die Katzen!« Lise lief in die Küche.
»Scheiss auf die Katzen!«, schrie ich. Und schon im gleichen Moment bereute ich es zutiefst.
Lise hatte sich zwei Katzenkörbe geschnappt, die oben auf dem Kühlschrank lagen. Ihr rundes, rundes Gesicht war feucht von Tränen. So stand sie da, schockiert, verwirrt. Ich riss ihr einen Korb aus der Hand und suchte verzweifelt nach den Katzen. Ich entdeckte den großen Kater, Dave, packte ihn am Kragen und stopfte ihn mit einer Forschheit in den Korb, die ich gar nicht an mir kannte.
»Hör auf! Du tust ihm weh!«, jammerte Lise.
»Mann!«, sagte Dylan. »Nicht so grob.«
»Leck mich, du verschissener Schlappschwanz«, schrie ich ihn an. »Du stehst nur rum und wartest, dass Dienstboten alles für dich erledigen.«

Ich ließ den Korb fallen und blickte mich um. Lise hielt Susie mit dem Korb vor sich und versuchte, vergeblich, die protestierende Katze irgendwie reinzukriegen.
»Komm schon, Susie, meine Süße, sei eine brave Katze«, schnurrte sie.
Ich fasste die Katze wie einen Sack Müll, schleuderte sie in den Korb und verriegelte ihn.
»Wir hauen ab!«, schrie ich.

Dylan hielt Dave, Lisa Susie. Als wir die Tür öffneten, war überall Rauch. Den Aufzug probierten wir alle drei erst gar nicht. Es gab zwei Treppenaufgänge, wir nahmen den ersten und öffneten die Tür. Der Rauch war weiß, dick und bewegte sich in kleinen Wolken. Mit zugekniffenen Augen und angehaltenem Atem stürzten wir die Treppe hinunter. Dann rannten wir noch eine Treppe runter, aber der Rauch war dicker und unsere Augen, unsere Lungen taten weh.
»Wir nehmen das nächste Treppenhaus«, brüllte Dylan gegen das Heulen der Sirene an.

Im 19. Stock sprangen wir rein in den Flur, wo es sofort besser wurde. Die Erleichterung darüber beruhigte uns fast einen süßen Augenblick lang. Dann rannten wir zur anderen Treppe. Der Rauch war auch da, aber bei weitem nicht so schlimm, bei weitem nicht. Und so schlugen wir uns durch, den ganzen Weg bis zum Erdgeschoß, dann raus und zwei Blocks die Straße runter, bis wir auf einer Bank in einem winzigen New Yorker Park saßen, während die Abenddämmerung um uns hereinbrach.

Stille. Erleichterung. Und bei mir? Scham, Scham, Scham. Sie kann diesen frischen, scharfen Stich versetzen, der einem das Gefühl gibt, ganz in der Gegenwart zu leben. Alles andere verschwindet, keine Langeweile mehr, keine Zweifel, keine sorgenvollen Gedanken an die Zukunft, die Vergangenheit, an Ron, ganz erfüllt von Selbstmitleid und dem Jetzt. In diesem Augenblick drehte sich alles um mich und was bei mir schief lief. Ist eine Art Taufe, wenn sich die Tore der Reue öffnen.

»Es tut mir leid«, sagte ich. Das tat gut. Jetzt erst bemerkte ich die blutigen Kratzer an meinen Unterarmen. Sie waren geschwollen und brannten: Kratzspuren der Katzen. Der Schmerz war ein Beruhigungsmittel gegen meine Scham.
Lise schniefte und umarmte ihren Katzenkorb. Dylan starrte ins Leere. Der Gestank nach Katzenpisse war zugleich tröstlich und kaum auszuhalten.
»Ich hatte Angst«, sagte ich. Und da wurde mir klar, dass sie mich endlich wahrgenommen hatte, mich, mich, ihre Freundin, die bisher nur ihr Fußabtreter war. Ihre prollige Freundin. Die zu nah neben ihr ging, die nicht wusste, was Crossroads oder Sonic Youth war. Ich hatte endlich Eindruck bei ihr hinterlassen. Einen schlimmen, aber immerhin einen Eindruck.

Das war, bevor ich wusste, dass wir unser Leben auf diesem Planeten verbringen, indem wir im Auto unseres eigenen kleines Verstandes herumkurven, in unserer in sich geschlossenen Welt. Ja, das war, bevor ich das wusste, als ich noch dachte, dass ich irgendwie auch wichtig wäre, als ich dachte, dass die Leute mich sehen, tief in mich hineinsehen, all meine Liebe und Lebensfreude sehen, das funkelnde Überschäumen meiner Lebendigkeit. Aber wir sind nur wichtig, wenn wir etwas Schreckliches tun. Dann sieht uns jemand, und nur dann.

»Wow«, sagte Dylan. »Das war heftig.«
Wir waren in Sicherheit. Der Himmel wurde ganz plötzlich dunkel, so ist das manchmal, die Dämmerung war vorbei. Die Lichter in den hohen Gebäuden ringsum waren Nadelstiche, kleine Löcher in der Welt, die Löcher eines Sicherheitsnetzes, das uns umgibt. Eine Zeit in meinem Leben war vorbei und sie war ziemlich schlimm zu Ende gegangen. Und doch, wie schön, jung zu sein, noch nicht einmal meinen eigenen Körper entdeckt zu haben (was Stunden unter dem Duschkopf der Badewanne schließlich änderten), anderen ausgeliefert zu sein, noch so viel vor mir zu haben und so leicht einen anderen Menschen enttäuschen zu können.