Nicola Nürnberger

 

Westschrippe. Roman

Hardcover
192 Seiten

22 Euro (D), 22,60 Euro (A)
ISBN: 978-3-944122-02-1

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Die Jugend eines Mädchens in der guten alten BRD der 80er Jahre, dort wo der Westen besonders typisch war: nahe an der Großstadt, aber doch tiefe Provinz, nahe an der Grenze zur DDR, aber doch Welten von ihr entfernt.

Der Blick der Erzählerin aus einem Berliner Vorort der Gegenwart, »einer Art westlicher Osten«, vermischt mit der naiven und zugleich schonungslosen Wahrnehmung der Heranwachsenden, macht die Spätphase der Bundesrepublik in vielen Einzelszenen auf erstaunliche Weise wieder lebendig: den ganze Familien zusammenschweißenden Enthusiasmus der Friedensbewegung, die letzten gefährlichen Zuckungen des Kalten Krieges, die öffentlich ins Bewusstsein gepushte und doch weggeschwiegene RAF, seltsam vergangen wirkende Differenzen zwischen Katholiken und Protestanten, ländliche Bildungsoffensiven, »künstlerisch« tätige Aussteiger …

Nach vielen Büchern über die letzten Jahre der DDR hier also ein Roman voll trockenem Humor über die Endphase der Bundesrepublik.
Simple Storys über Zonenkinder inmitten von Türmen bei abnehmendem Licht: In den letzten 15 Jahren ist eine reiche Erzählliteratur über die letzten Jahre der DDR entstanden. Der Westen hingegen scheint sich seiner Gegenwart und nahen Vergangenheit zu schämen, während der Osten so sehr mit sich selbst und dem Überleben beschäftigt ist, dass er sich gar nicht fragt, welcher »Westen« ihn da eigentlich überrollte.

Zeit, sich an die BRD vor 1989 zu erinnern. Für ältere Wessis: Um über ihre Jugend nachzudenken und zu sehen, was von ihren Wünschen übrig ist und sich vielleicht noch umsetzen lässt. Für jüngere Wessis: Um ihre Eltern oder auch eine Vergangenheit ohne Internet und Handys zu verstehen. Für Ossis: Um zu erkennen, dass der Westen nicht nur aus Raubtierkapitalismus bestand, und auch dort ein vielfältiges, intelligentes, aufregendes und sogar angenehm-soziales Leben möglich war. An das Ossis und Wessis heute wieder anknüpfen können, abseits von Unterwerfung, Resignation, Nostalgie und Abwehr.

Hardcover, 192 Seiten, 22 Euro (D), 22,60 Euro (A).
ISBN: 978-3-944122-02-1

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Leseprobe:

»Die Ostschrippe hat doch noch janz andas jeschmeckt«, sagt Frau Dittmann. Sie blickt dabei auf ein Kettenbäckereibrötchen, das sie mir in eine Papiertüte packt.
Die gute alte Ostschrippe wurde durch den Mauerfall weggepustet und so ist dieses krümelige Aufbackbrötchen in ihren Augen automatisch eine »Westschrippe«.
Westschrippe ist paradox. Im Westen gibt es ja gar keine Schrippe, in West-Berlin schon, aber so richtig Westen ist West-Berlin eben nie gewesen.

»Ja?«, sage ich leicht spitz. Wir stehen in einer kleinen Filiale einer ›Traditionsbäckerei‹, die in einem Siedlungsgebäude aus den späten 40er Jahren untergebracht ist. Tatsächlich sieht hier vieles ganz alt aus, aber die Brötchen werden einfach nur noch aufgebacken. Bleche mit Teiglingen warten in einem speziellen Gestell. Der Aufbackautomat ist nicht zu übersehen.
Plötzlich ertönt ein langes, schrilles Piepen, dann noch eins.

»Ick hab Kundschaft, nimmste mal de Körnersonne raus, et piept, hörste dit nich?«, pflaumt Frau Dittmann die Aushilfe an, die gerade die Zuckerstreuer abwischt. Im Hintergrund hängt ein Plakat. »Wieder im Angebot: Die original Ostschrippe nach traditionellem Rezept im Steinofen gebacken.« Hier, im Berliner Vorort, einer Art westlichem Osten, versteht jeder, wie vorwurfsvoll das gemeint ist. Die Ostschrippe gibt es aber nur an besonderen Tagen, und so lässt Frau Dittmann verächtlich eine vermeintliche Westschrippe in die Tüte fallen.

Die Ostschrippe hätte also bessa jeschmeckt, soso. Als hätte es in der Bundesrepublik schon immer nur Brötchen gegeben, die an Tankstellen aus Teiglingen aufgebacken wurden. Als hätten wir »drüben« früher tagaus tagein im Schulbus gesessen, wichtig aus dem Fenster geguckt, Streichwurst aus der Plastikdose auf diesem krümeligen Nichts gemampft und dabei die deutschen Bundeskanzler seit 1949 auswendig gelernt. Und als hätte Stalin das traditionsreiche Bäckerhandwerk in den sozialistischen Teil Deutschlands gebracht, und als seien eben jene Aufbackbrötchen mein schäbiger Beitrag zur Wiedervereinigung.


REZENSIONEN
»…typisch für Open House: anspruchsvoll, unkonventionell und unterhaltsam.«
– Ina Namislo im MDR


INTERVIEW mit Nicola Nürnberger: »Eine Berlin-Biographie ist es vielleicht«

Ein kurzes Video einer Lesung von Nicola Nürnberger gibt es hier.