Nicola Nürnberger: Berlin wird Festland. RomanNicola Nürnberger

 

Berlin wird Festland Roman

Hardcover, Schutzumschlag mit Relieflack, schwarzer Überzug mit pinker Prägung, pinkes Vorsatzpapier und Kapitalband

272 Seiten
22 Euro (D), 22,60 Euro (A)
ISBN: 978-3-944122-11-3

E-Book: 15,99 Euro (D, A)
ISBN: 978-3-944122-25-0

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»Ditt muss jefeiat wern, dasswa uns nu alle wiedaham.«
Christine zieht Anfang der 90er Jahre aus der Provinz zum Studium nach Berlin. Überwältigt von den Eindrücken der sich schlagartig neu erfindenden Metropole trifft sie auf den rund zehn Jahre älteren Monty. Der öffnet ihr den Blick für Geschichte und Politik im alten (West-)Berlin, aber auch für die noch unbekanntere Welt des sich völlig verändernden Ostteils der Stadt. Doch so wie sich Ost und West zwei Jahre nach der Wende noch weitgehend fremd bleiben, finden auch Monty und Christine nur langsam zueinander …

Geschichte und Eigenart von Straßen und Gebäuden einer Stadt und die Seelenlandschaft ihrer Einwohner, mit ihren ganz eigenen Schichten, Verschüttungen, Sperren und hoffnungsvollen Neuanfängen – all das braucht man, um eine Zeit zu verstehen.
»Erlebnisse, die man nicht aufschreibt, verflüchtigen sich zu indifferenten Erinnerungen.«

25 Jahre nach der Wiedervereinigung: Wie sah Berlin damals aus, wie fühlte sich Berlin an, als die Stadt wieder zusammenwuchs – erzählt aus der Perspektive einer jungen Frau, die in dieser Umbruchsituation Leben und Liebe entdeckt.
Ein Roman über das Berlin Anfang der 90er Jahre, der mit großem Detailreichtum, Humor und atmosphärischer Dichte die Stadt in einer Zeit wiedererstehen lässt, in der gesellschaftliche und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten so offen schienen wie nie zuvor oder danach.

»Wovon willst du denn erzählen?«
»Von der Teilung Deutschlands … und der Geschlechter.«

Hardcover, 272 Seiten, 22 Euro (D), 22,60 Euro (A).
ISBN: 978-3-944122-11-3

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LESEPROBE:

Viele Höfe weiter im faszinierenden Industriedschungel war es ruhiger, die hohen Gewerbebauten wurden abgelöst durch einstöckige Flachdachbauten, einer in Quietschrosa, davor ein Karree aus rasengrün gestrichenen Betonplatten, eine Art Terrasse. Dort saßen Leute auf Klappstühlen, tranken Wein und diskutierten. Drumherum wieder Verfall und Leere. Eine umgelegte Eisenplatte mit gewaltigen Scharnieren, am Rand eingeprägt die Aufschrift »VEB Eisenwerk ›1. Mai‹ Tangerhütte«, gab ein großes Loch frei, in das sich Monty wie selbstverständlich hinunterließ.
»Kommt, hier ist gleich eine richtige Treppe.« Die schma­le Stahltreppe wurde schwach von einer Kerze beleuchtet. Monty sang. Sang mit spröder Jungsstimme: »Hab keine Angst vor Dunkelheit, frag nicht, wohin wir gehn. / Wir stolpern einfach vorwärts durch ein weiteres Jahrzehnt. / Mit vollem Bauch und leerem Kopf, auf einem Auge blind, / auf der Suche nach Zufriedenheit und irgendeinem Sinn. … Auf dem Weg in ein neues Jahrtausend, über Nacht wird alles anders, eine schöne neue Welt.«

Er wies auf einen riesigen Tank, der den schmalen Raum vor ihnen füllte, zur Kontrollklappe führten rostige Trittgitter hinauf. Rüdiger sollte als Erster hoch und sich auf der anderen Seite hinunterlassen. Einem blechernen Schleifgeräusch folgte ein erleichtertes »Oi, wemmer dribbe is, isses gahnedd mehr so schlimm.« Nach Michael stieg Michaela hinauf und strampelte sich wie eine hilflose Schildkröte über den Kessel, Gabi kreischte kurz beim Hinabgleiten.
Monty, mit Christine allein, nahm ihre Hand an seine Brust und küsste sie auf den blonden Haaransatz. Er sang das Lied weiter. Leise, nur für sie. Christine spürte, wie aufgeregt er war.
»Mein Horoskop hat es mir erzählt, und ich weiß, dass es nie lügt. / Du und ich, wir sind auserwählt, steh auf und komm mit!«

Erst kletterte sie, dann er über den Tank. Auf der anderen Seite ein dunkler Gang, an dessen Ende gerade eine massive Stahltür aufschwang, aus der zwei Frauen glitten, preußisch-blaues Licht und metallisch aufblitzendes Hämmern drangen aus dem Raum.
»Wir sind da«, grinste Monty. »Das hier ist das neue Berlin, der neue Osten. Unerwartet und unheimlich.«

Drinnen herrschte eine phantastische Atmosphäre. Auf dem rohen Steinboden, der von zahllosen Rinnen durchzogen war, drängten sich monströse Zahnräder, verschlungene Rohrsysteme und aus Industrieschrott zusammengeschweißtes Mobiliar. Unter der Decke schwebte ein riesiges Reptil, das sich auf die Neuankömmlinge zu stürzen schien.
Unter gleißendem Neonlicht stapelte der Barmann in aller Ruhe Gläser, wischte, wippte mit dem Kopf, rauchte und sortierte Münzen. Es waren nur vereinzelt Gäste da, und die paar schienen mit den Stahltrümmern verschmolzen.
Christine und die anderen ließen sich auf einem Rohr nieder, so groß wie eine überdimensionierte Fernwärmeleitung. Rüdiger rief entschlossen: »Mir kriehn e Runde Bier!« Er dachte wohl, was in Kreuzberg funktioniert, funktioniert überall.
Aber der Barmann ignorierte ihn. Er hatte sein T-Shirt ausgezogen und tanzte.

Der Bass brachte die Leitung unter ihrem Hintern zum Vibrieren. Monty schrie fast: »Hier geht’s erst ganz spät los, ab eins oder so. Dann isses hier gerammelt voll, und alle tanzen. Hinter der Bar kommt man hoch zu einem riesigen Plateau. Die, die jetzt hier unten rumhängen, haben die ganze Nacht getanzt, wahrscheinlich. Nicht, dass das meine Musik wäre, aber es hat echt Drive, es ist neu, die Leute hier sind ziemlich jung, die machen sich den Kopf frei. Für was Neues. Die wollen gar nicht wissen, was der Kohl sagt. Der alte Mann.«

Gabi überredete Michaela, mit ihr die Toiletten zu suchen. Wobei, eigentlich sprang Michaela als Erste hoch. »Auf ins Abenteuer!« Weißblondierte Zwillinge zeigten im zuckenden Dunkel nach links. Hätte Christine auch nur geahnt, was die beiden erwartete, wäre sie nicht sitzen geblieben. So aber rückte sie nur etwas näher an Monty heran, der unbeirrt fortfuhr.
»Ich glaube, da findet ein Generationswechsel statt. Tja wir, die in den 80 ern hier waren, hatten dauernd den Kampf im Kopf, Häuserkampf, Straßenkampf, so was. Pazifisten, aber am 1.  Mai mit der Polizei gekloppt. Das hat natürlich schon vorher angefangen. Wir waren die mit dem RAF-Stern und der Kalaschnikow im Schulheft. In Wirklichkeit war es ja eine Heckler & Koch, MP 5, die Waffe des Klassenfeinds, aber egal. Krieg, Kampf, Knarre, das war unser Kreuzberg. Aber wir haben ausgedient, die Wiedervereinigung wird uns auffressen.«

Er trank einen ausgiebigen Schluck Bier gegen die beginnende Heiserkeit.
»Ich war im Sommer am Kudamm, mit zwei Kumpels, wir wollten zu einer Kundgebung auf dem Breitscheidplatz, politische Häftlinge in den USA. Wir also am Zoo aus der U-Bahn raus, da kam mir alles schon etwas seltsam vor, aber dort sind immer viele Touristen, dass ich mir nichts weiter dabei gedacht hab. Je näher wir dem Platz gekommen sind, desto seltsamer wurde es. Nix zu sehen von der üblichen Demoaufmachung, niemand schwarz angezogen, Hasskappen oder so, stattdessen so ’n Karnevalswagen mit wummerndem Bass und lauter aufgekratzten Teenies in Neonklamotten. Echt strange ! Stellte sich dann raus, dass da parallel ein Umzug mit Techno lief, nannte sich ›Love-Parade‹. Total sinnfreie Transparente schleppten die rum, ›My House Is Your House And Your House Is Mine‹. Dem konnte ich ja noch was Soziales abgewinnen, aber manche hatten Shirts an, da stand tatsächlich ›Friede, Freude, Eierkuchen‹ drauf.«
Er schüttelte den Kopf.
»Ganz klar: Das Berlin, Westberlin genaugenommen, wie wir das hier als ummauerte kleine Schatzinsel hatten, gibt es nicht mehr. Alles wird anders.«

Gabi und Michaela hielten sich links, wie die eineiigen Blondschöpfe ihnen geraten hatten. Hangelten sich an einem Röhren-Handlauf entlang, bis sie an eine Brüstung stießen. Sie blickten einander an, zuckten ahnungslos mit den Schultern. Michaela bot Gabi eine Zigarette an, sie lehnten sich über das Geländer und rauchten.
»Isch hab mir ja schongedacht, dasses schwierisch werd, aber dass mers garned finde …«
Sie schauten nach unten, in einer Rinne schwammen zahlreiche Taschentücher.
»Dess klaubisch jedsnedd!«, quiekte Gabi und presste lachend die Hand an den Mund.



INTERVIEW mit Nicola Nürnberger: »Eine Berlin-Biographie ist es vielleicht«


STIMMEN

… eine authentische Zeitreise in das Studentenleben der 1990er-Jahre, als man Kassetten aufnahm und Hausarbeiten mit Korrekturband- Schreibmaschine schrieb. Überall gerne empfohlen.
– Mirjam Kloß-Mallmann für den ekz-Bibliotheksservice

… nie verliert man auch nur kurz das Interesse, möchte im Gegenteil unbedingt weiter eintauchen in diese mit viel liebevollem Lokalkolorit gestaltete Geschichte… Man wünscht sich, Christine über den Weg zu laufen – 25 Jahre älter, mit Monty verheiratet – und sie zu fragen: »Nun erzähl’ doch mal, wie ging es damals weiter, nachdem (West-)Berlin von der ›Insel‹ zum ›Festland‹ wurde?!«
– Fräulein Julia, Kulturjournal

»Berlin wird Festland« ist ein Hauptstadtroman, der die Freiheit nach der Wende, die Umbrüche, aber auch die Orientierungslosigkeit widerspiegelt, die in dieser Zeit von so vielen und besonders den jungen Leuten Besitz ergriff. Mit Christine als Studentin und Verliebte kann man sich heute noch genauso identifizieren und streift mit ihr und Monty zusammen gespannt durch die Höfe und Schutthalden des ehemaligen Ost-Berlins.
– Frannytastics Blog

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