Empfehlung: Peter Handke – Die schönen Tage von Aranjuez

Peter Handke hat es wieder geschafft. Nach dem Erinnerungs-Traumbuch an seine Familie »Immer noch Sturm« (2010) hat er mit »Die schönen Tage von Aranjuez. Ein Sommerdialog« wieder ein wunderbares Buch geschrieben.

Dieses Mal über die Beziehung von »Mann« und »Frau«, die sich im geschützten Raum einer sommerlichen Gartenterrasse zusammenfinden. Keine Handlung soll den Dialog der Geschlechter stören, im Hintergrund nur das Rauschen der Bäume. Vor allem der Mann scheint diesen Schutz vor dem modernen Alltag zu brauchen: »Morgen zurück in die Kapitale. Die Arbeitet wartet auf mich. Von wegen Arbeit, von wegen warten: Der Kampf. Die Schlacht. Die Macht. Der Verrat. Das Morden. Das Töten und-oder Getötetwerden. Die Liebeleien. Die gefährlichen Liebschaften statt der andersgefährlichen Liebe.«

Eine Szenerie wie in den von Sonnenschein geförderten Gesprächen »zwischen zwei Liegestühlen« aus dem zweiten Teil von Musils »Mann ohne Eigenschaften«. Bei Handke dreht sich das erforschende Gespräch aber nicht um die (un)mögliche zukünftige Beziehung zwischen relativ jungen Geschwistern, sondern um das Erinnern von zwei älteren Freunden, die offenbar ein Paar waren.

Dabei erzählt jedoch fast ausschließlich die Frau von ihrem Liebesleben, und immer wohl auch von ihrer Beziehung zu ihrem männlichen Gegenüber. Von ihrer Jugend: »Nichts als Gegensätzlichkeiten, von einem Tag zum andern, einer Stunde zur andern, einer Sekunde zur andern. Begehren, Ekel, Ekel vor dem Begehren. Zärtlichkeit, gespielte Zärtlichkeit, Gewalt, zärtliche Gewalt, gewalttätige Gewalt. Und immer kam alles so plötzlich: Plötzlich das Begehren. Plötzlich die Lust. Plötzlich die Gewalt.«
Von erotischer Erweckung und gelungener körperlich-seelischer Vereinigung: »Kein Ich, kein Er, nichts als das Körperuniversum, Punkt und Universum zusammengefallen. Ein Körperpaar, liegend in der Unendlichkeitsschleife.«
Von Liebe als Rebellion gegen die Ordnung der Welt: »Es war eine bestimmte Weltordnung, welche mir den Geist der Rache eingehaucht hat, und darüber hinaus die Idee, ja, die Idee, diese Rache an der aktuellen Welt zu verwirklichen und ja, zu feiern zusammen mit einem Mann – nicht gegen ihn.«

Zusammen mit Männern, die etwas nicht hatten: »Es mangelte ihnen zuinnerst, der Blick des Jägers, oder Wilderers. … es war in ihren Augen, in ihre Augen geschrieben: ›Diese Frau, du, Frau, bist für mich unerreichbar. … ‹ Und dieser Blick der Trauer, einer unheilbaren Trauer, war es, der mich geöffnet hat jeweils für den Mann.«

Auch wenn diese Öffnung für Frauen und Männer offenbar immer schwieriger wird: »Und dabei scheint es, wir, Frauen wie Männer, sind dabei, unter der schnittigen Oberfläche durch und durch scheu, kopfscheu wie körperscheu, von Grund auf verschüchtert zu werden, ratlos, hilflos, voll Kummer.«

Für den Mann scheint die Liebe auch kaum noch mehr als eine abstrakte Vision zu sein, genauer: sein Begehren richtet sich nicht (mehr) auf Menschen, sondern auf eine verwilderte Vegetation, deren »Früchte und Gemüse« er bestaunt und vereinzelt genießt. Auch er träumt von einer Gegenwelt, abseits und hinter der Zivilisation des Gartens im spanischen Königsschloss Aranjuez, in den »wilden Wäldern« der Steppe, träumt von erneuerter Fruchtbarkeit, von intensiven und dauerhaften Erlebnissen. In denen der/die Andere aber nicht mehr als Person, sondern nur mehr als Pflanze vorkommt.

Am Ende bricht die sommerliche Idylle auf. Im Hintergrund werden Sirenen von Polizei- und Krankenwagen immer lauter, Autos, Flugzeuge, Helikopter, Schreie, auf Leben und Tod kämpfende Tiere. Das vom Mann geschilderte Idyll der Wildnis bekommt Risse, wird nachträglich entwertet: die dunklen Seiten der Wirklichkeit waren von ihm einfach ausgeblendet worden.

Die Frau bekennt zwar, sie sitze dem Mann ihres Lebens gegenüber – der bleibt auch hier verschwiegen. Für einen Augenblick scheint es, als würde sie die alte Liebe noch einmal zum Strahlen bringen, indem sie sich für ihn öffnet und mit einer Vase Sonnenblumen förmlich verschmilzt – die Kreuzung von Frau und Pflanze als Kompromissangebot. Aber der Mann hat dieses Kapitel längst für sich geschlossen. »Es gibt keine glückliche Liebe.« Mit einem Zitat aus Schillers Don Karlos, einem Drama der unerfüllten und erfüllbaren Sehnsucht, schließt er den Vorhang über ihrer Liebe, und den Dialog: »Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende. Wir sind vergebens hier gewesen.«

Für Leser gilt das Gegenteil. Schöner und gewinnbringender kann man sich eine Aus-Zeit, Gegen-Zeit im bevorstehenden Sommer kaum nehmen.

PS: Für die ganz Glücklichen gibt es diesen Dialog nächsten Monat auch erstmals auf Bühne. Bei den Wiener Festwochen, ab 15. Mai im Akademietheater.

PPS: Über zwei andere zeitlos Liebende, die sich gegen den Strom des Alterns und der aktuellen Ordnung stellen, geht es hier in diesem Blog demnächst weiter: Über
Mark Z. Danielewski: »Only Revolutions«. Sehr anders, sehr ähnlich.

Handke ist eben eine unglaubliche Mischung aus Avantgarde und »Klassiker«.
Gibt es noch ein paar andere begeisterte Handke-Leser? Was macht für euch das Besondere an Handke aus? Kennt ihr auch das Gefühl bei Handke, tatsächlich für einige Stunden aus der Gegenwart rausgerissen zu sein? Wie seht ihr die Kombination aus lyrischer Zartheit und plötzlich hervorbrechender Härte? Zwischen hohem Ton und zeitgenössischer Alltagssprache?

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