Sven Regener, Sänger und Texter der Band Element of Crime sowie Autor von Herr Lehmann, Neue Vahr Süd und Der kleine Bruder, in einem furiosen Statement zum Urheberrecht, warum die Musiker mit einem Platten-Label zusammenarbeiten und zur Piraten-Partei: Auszug aus einem Radio-Interview.
Foto: Charlotte Goltermann
Dazu die Reaktion von Christopher Lauer, innen- und kulturpolitischer Sprecher der Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.
Lauer meint also, im Internet könne man Musik nicht klauen, sondern nur kopieren, bzw. »ohne kommerzielles Interesse Wissen teilen«. Für Texte, E-Books etc. gilt das dann sicherlich mindestens genauso. Lauers Vergleich mit den Nudeln im Laden, die man hingegen (offenbar als materielles Gut) klauen könnte, greift zu kurz: Wie ist das mit Büchern, die mit zehn Exemplaren (Kopien) in der Buchhandlung liegen. Hier wäre es Klauen oder bloß das kostenlose Mitnehmen einer Kopie? Ist das E-Book nicht wie das Buch und fast alle anderen Produkte heute eine Kombination aus geistiger (»immaterieller«: der Autoren, des Setzers, des Cover-Designers etc.) und materieller (Papier, Druck etc.) Leistung, und zahlen wir sonst nicht ganz selbstverständlich für beides?
Dass gerade kleine und mittlere Musik-Labels und literarische Verlage auf solche Einnahmen angewiesen sind, und mit ihnen auch in Zukunft Musiker und Schriftsteller, die wie Regener nicht »Subventionstheater« und »Straßenmusik« sein wollen – das übergeht Lauer großzügig. Auf der Leipziger Buchmesse konnte man gerade von Verlegern aus den USA hören, wie sehr die Vielfalt einer literarischen Szene von dem Zusammenspiel kleiner Buchhandlungen mit kleinen und mittleren Verlagen und jungen Schriftstellern abhängt.
Schon erstaunlich, wie Lauer Regeners Beitrag von oben herab behandelt und ihn als alten Sturkopf abtut, der offenbar nicht den Anschluss an die technischen Gegebenheiten der neuen Zeit gefunden hat. Lauer »rät« immer noch, Künstler sollten sich von ihren »Verwertern emanzipieren«, während Regener verstanden hat, dass gerade diese Front von gestern ist, und heute Künstler genauso wie Labels und Verlage am Stock gehen, wenn sie sich nicht gemeinsam gegen riesige Plattform-Konglomerate behaupten können.
Wie immer dabei das Raunen von ach so neuen und revolutionären Geschäfts- oder Erfolgsmodellen im Internet, aber leider haben es inzwischen alle kapiert: Sie beruhen letztlich auf Verkauf von Lizenzen und Geräten (Apple) oder auf der Schaltung von Werbung (Google, Facebook etc.). Der Rest ist – auf wirtschaftlicher Ebene – mehr oder weniger als freie Information getarnte PR und auf politischer Ebene Phrasen von Parteien, die ebenso ratlos wie alle anderen in Wahrheit bisher keine Alternativen zu bieten haben.
Der Vergleich hinkt trotzdem: Die Kopien in der Buchhandlung sind ja nicht mehr verkäuflich, wenn sie gestohlen werden. Bei einer digitalen Kopie, die quasi ohne Aufwand hergestellt werden kann, kann der Autor immer noch genau so viele Exemplare verkaufen, wie ohne die »gestohlene« Kopie. In der Buchhandlung eben ein Exemplar weniger. Er verkauft nur dann weniger, wenn der Kopist tatsächlich für ein reguläres Exemplar bezahlt hätte. Es geht also weniger darum, das Kopieren an sich zu verhindern, sondern alle potenziellen Zahlungsbereiten auch zum Bezahlen zu bewegen. Ob das mit Beschimpfungen a la Regener gelingt, wage ich ja zu bezweifeln.
Es ist schade, dass die Diskussion vor allem auf Seiten der Kulturschaffenden so auf Filesharing beschränkt bleibt. Einerseits ist das aktuelle Filesharing im Kontext der Digitalisierung gar nicht das größte Problem – viel problematischer weil absolut legal – wird für Profi-Künstler die Konkurrenz durch zahllose Hobby-Kreative werden, die dank minimaler Kosten für Produktion und Distribution in den Markt drängen.
Andererseits nehmen auch Künstler (oder Verlage) die Vorteile der »Kostenloskultur« gern entgegen. Ihr selbst nutzt WordPress als Software und beschreibt, wie ihr vom freien Wissen auf einer anderen Website profitiert. Warum geben Leute ihr Wissen so freizügig preis? Sind das alles Trottel? Sollte man denen mal sagen, dass sie das lieben lassen sollten? Oder sollte man überlegen, ob im unkomplizierten Wissensaustausch nicht auch für Künstler eine große Chance besteht. Dann müsste man allerdings den Normalbürger nicht nur als zahlungsleistenden Empfänger sehen sondern als Gesprächspartner…
Und ein letztes Wort zum Thema Finanzierung. Sicher gibt es viele Möglichkeiten, seine Angebote vergüten zu lassen – man muss sich nur erst einmal von der durch die fehlleitende Eigentumsanalogie geprägten Idee „Verkauf von einzelnen Einheiten“ lösen. Chris Anderson hat in seinem Buch »Free« (dass er im übrigen sowohl frei verteilt als auch gut verkauft hat) viele Modell beschrieben. Nur einige Ideen:
– Abomodelle
– Freemium (wenige Zahlende finanzieren viel kostenlose)
– Projektfinanzierung durch Crowfunding (Kickstarter)
– Kombination mit nicht-kopierbaren dinglichen Produkten
– Events …
Eine persönliche Anmerkung zum Schluss: Ich bin selbst Autor und mein Verlag(!) hat mich gefragt, ob ich die nächste Auflage eines Buches komplett kostenlos auf seiner Website zur Verfügung stellen möchte – nach seinen Erfahrungen steigert dies die Verkaufszahlen …
Hallo Kai,
danke für deinen Kommentar.
Ein paar Ergänzungen, die unsere Haltung vielleicht klarer machen:
Wie du richtig schreibst, nutzen wir mit WordPress eine freie Software unter der GNU General Public License. Es macht allerdings schon einen Unterschied, ob eine Software frei angeboten und dann auch so eingesetzt wird, oder ob sie gegen den Willen des Produzenten kostenlos runtergeladen und genutzt wird.
Bei WordPress ist es übrigens wie bei vielen Web-Projekten: Leute, die sehr viel Arbeit in diese ursprünglich freien Projekte investieren, profitieren daneben oder später eben von Zusatzdiensten, wie zusätzlicher Software (Themes, Plug-Ins) oder als Systemadministrator. Bei WordPress z.b. Matthew Mullenweg über seine Firma Automattic. Und wenn wir das richtig sehen ja auch du, als Webdesigner und Buchautor zum an sich freien Typo3 oder zu CSS. Diese Art auf einem Umweg von einer vorerst kostenlos zur Verfügung gestellten Arbeit zu leben, heißt in unserem Beitrag oben PR, kann man natürlich aber auch anders nennen.
Insofern wird der von dir so genannte »unkomplizierte Wissensaustausch« ja auch von beiden Seiten (Produzent und User) sinnvoll genutzt, aber man sollte nicht so tun, als ob professionelle Arbeit als Software-Designer – auch als Künstler nicht – auf Dauer gratis angeboten wird. Wenn die Arbeit als Autor aber durch kostenlosen Tausch von E-Books nicht mehr finanziell belohnt wird, kann man natürlich sagen: Dann mach ich eben nur mehr Webdesign. Wir glauben aber, dass es Autoren und Musiker geben sollte, die sich, weil sie so gut sind, auf ihre Tätigkeit voll konzentrieren können, und wie andere Menschen auch, für ihre Produkte gut bezahlt werden.
Dementsprechend haben wir, wie du sicherlich gemerkt hast, ein WordPress-Theme von Jason Bobich in Verwendung, für das wir die von ihm geforderte Lizenz bezahlt haben – genau um die Arbeit von Software-Profis wie ihm und dir zu würdigen. Und deshalb haben wir auch auf die Seite von Elmastudio hingewiesen. Auf deren Seite stehen viele wertvolle Hinweise zur Einrichtung einer WordPress-Seite frei zur Verfügung, aber leben können sie eben auch nur vom Verkauf ihrer Themes oder Dienstleistungen, und weil wir uns letztlich für ein anderes Theme entschieden haben, wollten wir ihnen mit diesem Hinweis so vielleicht doch noch nützen.
In den Blogs, die Software-Autoren zu ihren Produkten meist zusätzlich anbieten, sehen wir übrigens, dass auch sie nicht gerade »amused« sind, wenn ihre unter Verkaufs-Lizenz angebotenen Produkte kostenlos kopiert werden.
Der Vergleich zum Buchladen hinkt nur insoweit, als bei einer digitalen Kopie eine Kopie ohne Berechtigung (für die Verlage zahlen) praktisch vor Ort, in der Buchhandlung, erstellt und dann eine sehr wohl physische Kopie mit nach Haus genommen wird, auf die eigene Festplatte, Stick, iPod etc.
Der Satz, es komme eher darauf an »alle potenziellen Zahlungsbereiten auch zum Bezahlen zu beweggen« muss, glauben wir, ergänzt werden. Zuerst: Wer nicht zahlungsbereit ist, sollte etwas, wofür Geld verlangt wird, auch nicht nutzen. Und wenn auf Plattformen Musik und Literatur gegen den Willen der Produzenten gratis angeboten wird, dann sinkt die Bereitschaft zu zahlen, ja offenbar dramatisch. Außerdem ist nicht einzusehen, warum Autoren und Verlage für Produkte, in die viel Arbeit geflossen ist, bei den Nutzern auf die Spenden von Bereitwilligen angewiesen sein sollen – so lange nicht die meisten anderen Berufsbranchen auch so funktionieren.
Zum Vorschlag deines Verlags, ein Buch aus Werbegründen kostenlos als komplettes E-Book anzubieten: Auf deiner Webseite konnten wir bisher auch nur Angebote entdecken, die ausschließlich das Inhaltsverzeichnis und eine Leseprobe umfassen. In der Musik-Branche scheint sich diese Hoffnung – digital als Werbung kostenlos, Hardware zu bezahlen – die über Jahre vor sich hergetragen wurde, ja ganz und gar nicht erfüllt zu haben. Sonst gäbe es deren Probleme nicht. Wenn das klappt, wäre das für uns alle (Autoren und Verlage) eine große Erleichterung. Dann würden wir das gerne kopieren 🙂 .
Wie auch immer: Weiterhin viel Spaß und Erfolg mit deiner Arbeit!